Dr. Jürgen Roth
Schloß
86482 Aystetten
Tel./Fax: 0821487104

LAUDATIO
anläßlich der Preisverleihung der
TUTZINGER STIFTUNG
zur Förderung der Umweltbildung
2000

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr verehrter Frau Fluch,
sehr geehrter Herr Gugeler und Herr Mager
als Vertreter der Jugend-Nachrichten-Agentur für ökologische und soziale Kreativität "Sinnflut"
sehr geehrter Herr Häusler, die Tutzinger Stiftung zur Förderung der Umweltbildung verleiht in diesem Jahr Preise für vorbildliches Engagement, pädagogisches und umweltpolitisches Handeln miteinander zu verknüpfen. Die beiden ersten Preisträger, Frau Margit Fluch und die Jugend-Nachrichten-Agentur "Sinnflut", die durch Herrn Mario Gugeler und Herrn Tino Mager vertreten wird, teilen sich den Preis der Tutzinger Stiftung. Herr Häusler erhält den Förderpreis der Tutzinger Stiftung. Die Preisträger, die aus vielen qualifizierten Bewerbungen ausgewählt wurden, entsprechen unseren Fördergrundsätzen: zum einen geht es um die ökologische Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen und zum anderen um ein anderes Verständnis von Schule und Unterricht. Darüber hinaus hatten wir diesmal aus Anlass unseres zehnjährigen Jubiläums alle Initiativen eingeladen, die von uns im Laufe der zehn Jahre ausgezeichnet wurden. Was ist das Besondere an solchen Projekten, die hier ausgezeichnet werden? In welchen Zusammenhang steht das Tagungsthema "Zur Bedeutung der Selbstreflexion bei der Erneuerung von Schule" mit der Arbeit in diesen Projekten? Ich möchte Sie zuerst einmal mit einem kurzen Ausschnitt aus den Grundlagen und Leitlinien des neuen bayerischen Grundschullehrplans konfrontieren und Sie bitten, sich diese Aussage immer wieder vor Augen zu halten, wenn ich über die drei Initiativen berichte, die wir auszeichnen. "Im Sinne einer politischen Grundbildung werden in der Grundschule soziale Lernprozesse initiiert und unverzichtbare Werte menschlichen Zusammenlebens erfahrbar gemacht. Durch die Förderung sozialer Verhaltensweisen wie Rücksichtnahme, Verantwortungsbereitschaft, Solidarität, Toleranz, Urteilsfähigkeit und die Bereitschaft, Konflikte friedlich zu lösen oder auszuhalten, werden die Schüler auf ein Leben als Staatsbürger in einer demokratischen Gesellschaft vorbereitet. Unterricht und Schulleben sollen dem Schüler ermöglichen, in die Rolle des verantwortungsbewußten, autonomen Staatsbürgers hineinzuwachsen." Noch einmal die Frage: Was ist das Besondere an den Initiativen? Im weitesten Sinn stehen alle Initiativen für eine Schule, in der etwas anders läuft als in anderen Schulen. In diesen Schulen passiert etwas, was ihnen im Vergleich zu anderen ein unverwechselbares Profil gibt. Das hört sich zuerst einmal gut an; aber was ist damit gemeint? Oft sind und bleiben diese Initiativen "Fremdkörper" in der eigenen Schule; manchmal gelingt es, die anderen Kollegen und die anderen Schüler "zu infizieren". Im Sinne unseres Verständnisses und daher auch im Sinne unseres Tagungsthemas sind sie Beispiele für eine Entwicklungen, die sich mit "Selbstbestimmung", "Selbstorganisation" und "Selbstreflexion" umschreiben lassen. Aber was ist damit gemeint? Erlauben Sie mir, bevor ich darauf - und natürlich auch auf die ausgezeichneten Preisträger - eingehe, einen kleinen "Umweg" zu machen und mich kurz dem "lebendigen", dem angewandten Lernen zuzuwenden. Ein alter reformpädagogischer Gedanke, den jeder kennt (aber eben nur kennt), tritt dabei wieder zutage: die Aufhebung der Trennung zwischen Schule und Leben. Den Schülern werden dabei neue Handlungsfelder erschlossen, und sie erhalten neue, andere Lernchancen: Ein echtes" Problem muß gelöst werden; dies erfordert Lernprozesse, und durch diese Lernprozesse werden wieder neue Probleme sichtbar, die ihrerseits neue Lernanforderungen stellen. So entsteht ein Prozess der Wechselwirkung zwischen Handeln und Lernen, der weit über die traditionelle Erwartungen an einen Projektunterricht hinausgeht. Alle Initiativen, die wir unterstützen, - genauer: durch die Unterstützung und Förderung sensibler Lehrerinnen und Lehrer, die in ihrer Schule mögliche Freiräume bis an ihre Grenzen sichtbar machen, werden Voraussetzungen für mehr Eigenverantwortung geschaffen. "Freilich, was nicht von Personen dargestellt und vorgelebt wird, führt zu nichts. Ein Lehrer kann in unserer Schule kaum etwas 'vorleben', er kann dort nur unterrichten." - dämpft Hartmut von Hentig die Hoffnungen. Wenn ich an die Initiativen denke, die wir im Laufe der letzten zehn Jahre ausgezeichnet haben, bin ich optimistischer. Der Begriff "vorleben" ist eben viel zu komplex, als dass er nur als Pendent zu "unterrichten" gesehen werden kann. Ich versuche das an einer Initiative anschaulich aufzuzeigen, die vor genau zehn Jahren hier an dieser Stelle ausgezeichnet wurde. Für mich steht diese Initiative idealtypisch für Projekte, die wir unterstützen und für Lehrer und Lehrerinnen, die mit den Schülern und Schülerinnen Schule "nachhaltiger" erleben. An diesem Beispiel kann "wieder einmal so schön" sichtbar gemacht werden, was passiert, wenn eine Initiative "erwachsen" wird, wenn sie sich "lebendig" zeigt, wenn sie "das Maul aufmacht". Ich spreche vom Kiesgruben-Projekt, das Frau Ilse Gundermann und ihre Schüler und Schülerinnen 1990 vorgestellt haben: Solange Frau Gundermann als Lehrerin mit ihren Schülern anschaulichen Heimat- und Sachkunde-Unterricht an und in der Kiesgrube gemacht hat, und so lange sie mit den Schülern viele, seltene Tiere entdeckt, bestimmt und klassifiziert hat, und solange die Schüler schöne, bunte Hefteinträge gestaltet haben, war die Welt in Ordnung: die Schul-Welt und die Außen-Welt. Aber in dem Augenblick, als Frau Gundermann und die Schüler anderen außerhalb des Schulhauses etwas mitteilen wollten, sie Stellung bezogen und sich einmischten, geriet alles aus den Fugen: Positiv war: Die Schüler erlebten zum ersten Mal Schule in einem ganz anderen Zusammenhang: Schule und Leben und Lernen waren auf einmal ganz eng miteinander verbunden. Gemeinsam mit Eltern und Experten wandten sich die Lehrerin und ihre Schüler an andere Institutionen, bei der Erhaltung der Kiesgrube mitzuwirken. Sie konnten und wollten nicht mehr nur "Sandkasten-Spiele" machen. Negativ war: Die Lehrerin und die Schüler merkten sehr schnell, wie unangenehm Erwachsene reagieren können, wenn ihnen Kinder "in die Quere" kommen. Sie wurden nicht ernst genommen, es wurden Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten wurden, ihre Vorschläge wurden als lästig empfunden. "Das hat doch alles nichts mehr mit Schule zu tun!" Ohne die Überzeugung von Frau Gundermann, das einzig Richtige zu tun und ohne die Ausdauer und Zähigkeit der Schulkinder wären alle längst verzweifelt und mutlos geworden. Das Dilemma war: Gleichzeitig war sich Frau Gundermann der Gratwanderung bewußt, die sie immer wieder machen mußte. Sie mußte abwägen: Da war einerseits die Sache - hier: die Rettung der Kiesgrube mit all ihren Schätzen - die sie weiter verfolgen wollte, anderseits wollte sie aber die Kinder weder in etwas hineinziehen, was sie überfordern würde, noch sie als Mittel für ihren Zweck benutzen. Zum Schluß haben sie nicht einmal eine Verleumdungsklage aus der Ruhe bringen können. Fazit ist: Wenn's politisch wird, ist der Spaß vorbei! Und: Kinder haben keine Lobby! Noch ein Fazit: Mittlerweile ist die Kiesgrube bis auf einen winzig kleinen Teil verschüttet, weil das "so im Vertrag stand"! Ich habe dieses Beispiel auch deshalb so ausführlich dargestellt, weil sich im Grund wenig geändert hat: Die Energie-Arbeitsgemeinschaft, die Frau Fluch und ihre Schüler auszeichnet, ist eigentlich sehr schnell vorgestellt: Ausgangspunkt war ein Energiespar-Wettbewerb, den der Landkreis Neu-Ulm ausschrieb. Die Schüler und Schülerinnen wurden aufgefordert, kreative und effektive Ideen zu entwickeln, um an den Schulen Energiekosten einzusparen. Das Berta-von-Suttner-Gymnasium hat den Wettbewerb gewonnen und viel öffentliche Anerkennung landauf, landab erhalten: vom Landrat, vom Kreistag und von der Presse. Die Schule erhielt Preisgelder und Geld, das der Landkreis bei der Heizungssanierung einsparte. Darüber hinaus wurde dem Gymnasium eine Solaranlage im Wert von DM 115000 installiert. Alles in allem - ein großer Erfolg! Aber das ist nicht der einzige Grund, das Berta-von-Suttner-Gymnasium, das heißt die Energie-Arbeitsgemeinschaft, Frau Margit Fluch und Ihre Schüler noch einmal auszuzeichnen. (Während ich weiterfahre, bitte ich Sie, sich immer wieder an den Ausschnitt aus dem neuen Lehrplan und an das Kiesgruben-Projekt zu erinnern!) Die Energiespar-Arbeitsgemeinschaft lief gut, solange sie nicht auffiel, solange sie nicht etwas entdeckte, vorbrachte oder forderte, was unerwartet und unbequem war. Solange die Ergebnisse im Rahmen blieben, und die Vorschläge einleuchtend waren (z.B. ironisch gemeint: die ganze Schule lüftet im Winter jeden Tag von 10.20 bis 10. 29 Uhr oder jeder Schüler zieht sich wärmer an, usw.), lief alles reibungslos. Aber: Das Gymnasium (z.B. die Schüler, die Kollegen, die Schulleitung) hatte das Glück, dass es in Frau Fluch und Ihrer Arbeitsgemeinschaft "naturwissenschaftliche Detektive" vorfand, die mit Expertenhilfe entdeckten, daß der eigentliche Energieverschwender nicht die Nutzer, die Menschen, die Schüler oder die Lehrer, sondern dass es die Heizanlage selbst war: Es ging um das Auffinden des Energie-Lecks. (Ausführlicher darüber wird Frau Fluch referieren!) An dieser Stelle könnte ich wieder auf das Kiesgruben-Projekt verweisen: Wie kommt eine Lehrerin mit ihrer Arbeitsgemeinschaft dazu, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angehen? Was hat das alles noch mit Unterricht zu tun? Immer wieder entsteht für die Lehrerin der Druck, deutlich zu machen, dass das alles noch zu "Schule" gehört. Oft wird die Arbeit der Initiativen "nach außen gelobt": das, was da gearbeitet wird, übersteigt die Kapazität einer Arbeitsgemeinschaft (- sagt man!). Die Aktivitäten werden aus der Schule nach außen verlegt, sie werden verlagert: man gründet z. B. einen Verein. Also: Was hat das, was Frau Margit Fluch mit ihren Schülerinnen und Schülern arbeitet noch mit Physik-Unterricht zu tun? Viele Fachleute - Installateure, Heizungsmonteure, Planungsbüros, ein Ingenieurbüro, das mit der Heizungs-Sanierung beauftragt war, das Bauamt, usw - hatten doch seit Jahren alles für gut befunden! Und jetzt findet eine Gruppe interessierter, engagierter Schüler unter Mithilfe ihrer Lehrerin etwas heraus, was nicht sein kann! Im Laufe dieses angewandten Unterrichts wurden die Schüler mit ihrer Lehrerin kompetent, sie haben sich so viel Detailwissen erarbeitet, dass man sie nicht mehr einfach in das Klassenzimmer zurückschicken" konnte. An dieser Stelle beginnt auch für diese Lehrerin ein Balanceakt: Einerseits fühlt sie sich der Sache - dem Auffinden des Energielecks - verbunden. Andererseits muss sie aufpassen, dass sie die Schüler und Schülerinnen nicht vor ihren Karren spannt", sie instrumentalisiert oder sie damit überfordert. Aber: Schulen, die solch engagierte Schüler und Schülerinnen in ihren Reihen haben, müssten sich freuen. Mit einer Arbeitsgemeinschaft, die Schüler so motiviert und die sich als so problemorientiert herausstellt, kann sich jede Schule profilieren. Solche Situationen haben noch einen nicht zu unterschätzenden (dynamischen) "Nebeneffekt": Traditionell stehen sich Lehrer und Schüler gegenüber. Bei den meisten Initiativen verändert sich spätestens dann, wenn die ersten Außen-Widerstände auftauchen, die Lehrer - Schüler - Beziehung: Die Widerstände verbinden und schweißen zusammen. Es wird eine Arbeitsgemeinschaft im wahrsten Sinn des Wortes. Es war und ist Ziel von Frau Margit Fluch, die Widerstände nicht zu personalisieren: Das heißt: hier geht es nicht um den "unbelehrbaren Heizungsmonteur", der die unbequeme Arbeitsgemeinschaft "auf den Mond wünscht", sondern um die Vermittlung der Erkenntnis, dass diese Personen Probleme repräsentieren. Es gibt keinen "Gegner" der "aus dem Feld" geräumt werden muss, sondern es gibt ungelöste Probleme. In der Auseinandersetzung mit diesen Problemen sind die Schüler auf einen kompetenten und verantwortungsbewussten Lehrer angewiesen: Frau Margit Fluch ist dieser Balanceakt bisher gelungen! Auch wenn Ergebnisse nicht sofort sichtbar werden, auch wenn manchmal alles über den Kopf wächst, die Schüler und Schülerinnen der Energie- Arbeitsgemeinschaft haben sehr bald gespürt, dass dieser andere "Unterricht" Sinn macht - unabhängig davon, dass sich auch Angst vor der Belastung einschleicht -, es macht Sinn sowohl für die Schüler und Schülerinnen als auch für die Lehrerin. Der Versuch, aus dem Gewohnten, dem Bekannten (vielleicht auch dem Langweiligen) oder Selbstverständlichen auszusteigen, macht Sinn und vermag ungeahnte Kräfte freizusetzen. Bei vielen anderen Initiativen gab es oft Schlüsselerlebnisse, die den Anstoß gegeben haben; bisweilen war Unzufriedenheit der Motor zur Veränderung; vielleicht waren Anregungen von anderer Seite ausschlaggebend, neue Wege auszuprobieren und den vorgegebenen und sicheren Rahmen und Raum zu verlassen. Sinn finden, heißt auch Antrieb erhalten, sich zu profilieren und zu qualifizieren. Vielleicht war es auch die Erkenntnis, daß die Zeit, die ein Lehrer mit Schülern verbringt, kostbare Lebenszeit ist und deshalb zu wertvoll, sie im alltäglichen Unterrichtskampf zu verschwenden: Die Entdeckung, daß es Sinn macht, sich mit einer Sache "abzurackern", die Entdeckung, etwas gemeinsam heraus zu finden, daß sich der Aufwand lohnt, weil man sich mit der Leistung, mit dem Ergebnis identifizieren kann, wo Fähigkeiten oder Fertigkeiten abgerufen und gebraucht werden, die sonst vielleicht brach liegen oder in der Schulzeit nie entdeckt werden. Der Übergang zur zweiten Initiative, die wir heute auszeichnen, ist riesig: Es geht um  "SINNFLUT" (Es-I-En-En-Ef-El-U-Te-I). Sinnflut ist eine Jugend-Nachrichten-Agentur für ökologische und soziale Kreativität. Sie wurde 1995 ins Leben gerufen, "als eine Nachrichtenagentur der besonderen Art." Die Agentur wurde von jungen Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren aufgebaut. Im Augenblick arbeiten 15 junge Leute regelmäßig bei der Agentur mit: Schüler, Studenten, Lehrlinge und Freiwillige aus dem FÖJ (Freiwilliges ökologisches Jahr). Der Sitz dieser Agentur ist ein in Berlin-Kreuzberg angemieteter, ausgebauter Dachboden, der mit der nötigen Technik ausgestattet ist. Tagsüber arbeiten dort zwei Frauen, die das freiwillige ökologische Jahr ableisten, die von der Stiftung Naturschutz "ausgeliehen" worden sind. Andere arbeiten wöchentlich stundenweise im Bereich Recherche, Home Page, Pressearbeit, Übersetzer, die Texte ins Englische und Französische übertragen und Redakteure". Einmal in der Woche trifft sich die Gruppe zur Redaktionssitzung, bei der die Texte durchgesprochen und Projekte vorgestellt werden. Was sind die Ziele von "Sinnflut":
"Wir haben es satt, dass die Meldungen über Katastrophen in den Medien immer mehr Raum einnehmen. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild der Gesellschaft, das viele Menschen frustriert und demotiviert. Deshalb sammeln und selektieren wir Projekte und Aktivitäten aus dem ökologischen und sozialen Bereich aus Deutschland und der Welt.

Wir bereiten diese in dem speziell witzigen und provokanten "Sinnflut"-Stil redaktionell auf. Außerdem bieten wir unsere sich ständig erweiternde Datensammlung (z.Zt. verfügen wir über ca 380 Projekte; Stand Sept. 99) jedem Interessierten als Informations- und Kontaktquelle an. Wir wollen mit unserer Arbeit den vielen kleinen interessanten Initiativen eine positive Öffentlichkeit verschaffen, sowie ökologische und soziale Kreativität fördern und vernetzen."

Abnehmer dieser "Spots" sind Zeitungen, Radiosender, das Internet und Schülerzeitungen. "Sinnflut" finanziert sich selbst und durch Fördergelder. Die Aktivitäten, die ausgewählt werden und über die geschrieben werden, müssen Grundbedingungen erfüllen: (Wer die Förderkriterien unserer Stiftung kennt, wird die Ähnlichkeit erkennen!) "Sinnflut" nimmt für sich in Anspruch eine Schule außerhalb der Schule zu sein: "Wir bilden auf unsere Art und das eben außerhalb der Schule! Dadurch, dass wir wissen, was junge Leute anspricht, hoffen wir gerade diese in ihrem Denken und Handeln positiv zu beeinflussen. Durch die Reaktion der Leser und Leserinnen haben wir vielfältige Möglichkeiten unsre Arbeit zu überprüfen und zu verändern. Wir haben so zu sagen durch die Abnehmer eine ständige 'Qualitätskontrolle'!" Direkt und zwischen den Zeilen ist das "Zittern" zu spüren, ob die Initiative finanziell den nächsten Monat überlebt. Von dieser Stelle kann ich Ihnen Herr Mario Gugeler und und Herr Tino Mager nur wünschen, daß die neue Aktion, Honorare für die 'Spots' zu erhalten, "Zinsen" trägt, und dass die "Mutmach-Runden" nur auf die Redaktionskonferenz beschränkt bleibt. Am Beispiel von "Sinnflut" wird wieder einmal deutlich, dass das tragende Element einer Initiative - ich sage sogar: dass das tragende Element von Veränderung, von Visionen, von Weiterentwicklung - das Engagement der Mitglieder ist, die sich mit dieser Initiative - das heißt: mit der Sache - identifizieren. Ach, wie weit ist Schule, wie wir sie kennen, davon entfernt. Dabei sind es Lebens-Jahre, die dort verbracht werden. Vor zwei Jahren sagte mir hier in Tutzing ein Abiturient: "Ich habe versucht, mit einem Minimalaufwand an Zeit und Energie, über die Runden zu kommen. Seit drei Wochen arbeite ich jetzt jeden Tag an einem Video-Film, den ich mit Freunden gedreht habe, manchmal bis zu 16 Stunden am Tag im Schneideraum. Das lohnt sich! Für die Schule zu arbeiten, da war mir jede Minute zu schade! "Sinnflut" erinnert mich in vielem an die pädagogische Konzeption von Peter Petersen, auf den ich schon vor zwei Jahren hingewiesen habe. Dadurch, daß Sinnflut eine Jugend-Nachrichtenagentur ist, gibt es immer wieder Fluktuation. Es ist abgemacht, dass die "Älteren", bevor sie gehen, die "Neuen" einarbeiten und ihr Wissen weitergeben. Die Peter Petersen Pädagigik vertraut dem selben Prinzip: Die Schüler sind nicht in Jahrgangsklassen eingeteilt, sondern in Altersgruppen. Wir würden sagen: Drei Jahrgänge sind zu einer Gruppe, der Stammgruppe, zusammengefasst. Jeder fühlt sich dem anderen und der Sache verantwortlich: Der "Lehrling" (der Jüngste) braucht die Hilfe und Unterstützung des "Gesellen" (der Ältere) und des "Meisters" (der Erfahrene); der "Meister" stützt den Gesellen". Im nächsten Jahr ist der "Meister" in der neuen Stammgruppe "Lehrling". Peter Petersen vertraut auf die Kompetenz und auf das Engagement der Schüler verschiedene Altersgruppen. In vielen Fällen lernen die Schüler untereinander und von einander mehr, als es durch einen einzelnen Lehrer möglich wäre. Sie machen vor allem soziale Erfahrungen. Leider gibt es in Bayern noch keine Peter-Petersen-Schulen (Jenaplanschulen). In den Niederlanden z. B. gibt es sehr viele dieser Alternativschulen. Da es in diesen Ländern keine Schulpflicht sondern Unterrichtspflicht gibt, suchen sich die Eltern die Schule aus, die sie für ihr Kind geeignet finden: Sie machen sich vorher kundig, sie befragen andere Kinder und Eltern. Sie befragen die Lehrer nach ihrem Konzept. Sie sind wählerische Kunden. Es kann daher passieren, daß Schulen schließen müssen, daß eine Schule Pleite "macht", in "Konkurs geht", wenn diese Schule kein eigenes Profil hat, wenn sie keine Ausstrahlung hat. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Es geht hier nicht um die bessere Verkaufsstrategie, sondern um Verantwortung und Vertrauen und auch um Leistung. Es geht um die Identifikation mit der Schule: Das ist unsere Schule; ich bin hier gerne Lehrer. Ich bin von meiner Arbeit überzeugt. Ich gehe jedes Jahr von neuem mit meinen Schülern gemeinsam auf Entdeckungsreise. Eigentlich sind es Binsenweisheiten: Ein zufriedener Lehrer, "produziert" zufriedene Schüler; Lehrer, die Schüler ernst nehmen, werden von den Schülern ernst genommen; aggressive Erwachsene "ernten" aggressive Kinder und Jugendliche; in Machtkämpfen werden Energien, die z.B. für Kooperation benötigt würden, verschwendet; geduldige Lehrer schaffen eine Lernatmosphäre, die Zeit zum Ausprobieren und für Umwege läßt. Auf einen Nenner gebracht: Die Lehrer nehmen die Schüler ernst; die Schüler nehmen die Lehrer ernst. Eine neue, von oben eingeführte, Struktur verändert wenig, wenn sich die Personen nicht verändern. Und - um mit "Sinnflut" zu sprechen: "Wir haben sozusagen durch die Abnehmer eine ständige Qualitätskontrolle!" Was ist der rote Faden, der sich durch beide Initiativen durch alle Initiativen - , die wir auszeichnen, zieht: Schüler, Lehrlinge, Studenten und Lehrer treten aus einem Schonraum heraus in die Öffentlichkeit , sie vertreten eine Sache, von der sie überzeugt sind, sie vertreten sich, sie treten für etwas ein und versuchen, ihre Ideen verständlich zu machen - das sind alles Lernfelder, die so in keinem Lehrplan zu finden sind. Ich-Kompetenz, Sach-Kompetenz und Sozial- Kompetenz - sonst Zielformulierungen "ohne Bodenhaftung" - sind Ergebnisse eines Engagements, dessen Motivation aus der Identifikation mit der Sache kommt. Natürlich ist das immer an Menschen gebunden, die trotz traditioneller Schulstrukturen, trotz Stoffdruck und trotz Skeptiker und Unkenrufen, den Mut haben und die Vision, mit Schülern, mit Gleichgesinnten, andere Wege zu gehen. Es ist nicht nur die gute fachwissenschaftliche Begleitung; es die Fähigkeit, andere zu begeistern und zu überzeugen, sich im richtigen Augenblick zurückziehen zu können, Kritik zu ertragen, den Schülern oder der Gruppe vertrauen, sich und den anderen, etwas zuzumuten. Das ist das, was man "Bildungsprozeß" nennen könnte. Neben den beiden ersten Preisen vergeben wir in diesem Jahr auch einen Förderpreis. Durch unseren Preis wollen wir die Weiterentwicklung von Projekten, die unseren Förderkriterien entsprechen, mit unterstützen. In diesem Jahr geht der Förderpreis an Herrn Richard Häusler. Mit der Entscheidung, Herrn Richard Häusler auszuzeichnen, wenden wir uns einer Initiative zu, die schon seit länger als 15 Jahren besteht. Herr Richard Häusler hat im Herbst 1985 im Vorlesungsverzeichnis der Volkshochschule Grafing einen Kurs angekündigt, um interessierten Bürgerinnen und Bürgern ein Experimentierfeld zu eröffnen. Der Kurs, der Arbeitskreis, sollte eine offene Form der Auseinandersetzung für Menschen sein, die Ihr Umweltbewußtsein schärfen und gemeinsam in Praxis umsetzen wollten. Dieser Arbeitskreis ist unter dem Namen  "TU-WAS" bekannt geworden. Schon nach einem Vierteljahr entstand bei den Teilnehmern das Bedürfnis, mit den Themen und Arbeiten, die man diskutiert und recherchiert hatte, an die Öffentlichkeit zu gehen. Mit Hilfe der Lokal-Zeitung entstand eine kleine Artikelreihe: "Der Öko-Tip vom TU-WAS- Arbeitskreis". Im weiteren Verlauf der Arbeit nutzten die Mitglieder jede Chance, sich auf dem Gebiet des Trinkwasserschutzes kompetent zu machen. Es ging soweit, dass einzelne Teilnehmer eigene Messungen vornahmen und damit an die Öffentlichkeit gingen. Wie bei allen Initiativen beginnt jetzt die zweite Phase der Arbeit: die Auseinandersetzung mit anderen Interessen, mit anderen Institutionen, die durch die Ergebnisse von TU-WAS zu Reaktionen gezwungen wurden. (Herr Richard Häusler wird sicher ausführlicher auf die Probleme, die jetzt anfingen, eingehen). Drei Elemente dessen, was das Modell TU-WAS ausmacht, wurde bereits mit der Trinkwasser-Aktion sichtbar: die starke Öffentlichkeitsorientierung, die Einbeziehung naturwissenschaftlicher Kompetenz, sowie die bewußt gewählte Politische Aktivität aus einer Sachkompetenz heraus. In diesem Stadium der Arbeit hatte TU-WAS das Glück, dass die Schweisfurt-Stiftung den Arbeitskreis finanziell unterstützte und ihn damit bekannter machte. Das Modell und die Konzeption wurden von anderen Volkshochschulen übernommen; es wurden neue TU-WAS Initiativen in anderen Städten gegründet. Es entstand ein Netz von Verbindungen, das durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt institutionalisiert werden konnte. 1994 wurde TU-WAS als Verein gegründet. Herr Richard Häusler entwickelte mit anderen im Laufe der Zeit und aus den Erfahrungen mit der explosionsartigen Verbreitung von TU-Was fünf Elemente, die in vielen Projekten immer wieder verifiziert werden konnten.
"Wir glauben, dass vor allem die Kombination dieser Funktionsprinzipien einen, inneren 'Erfolgstrend' erzeugt, dass also gerade ihr wechselseitiges Zusammenwirken und ihre Verzahnung besondere Effekte haben (Synergie):
Über die zahlreichen Projekte - ob im Zusammenhang mit Wasser, Luft, Müll, Elektrosmog oder Lebensstil - soll hier nicht eingegangen werden. Aber es lohnt sich, die Aussagen und Erfahrungen einer fünfzehnjährigen Projektarbeit auf den Punkt zu bringen, zu präzisieren und zu schlußfolgern:
"Es geht um die Förderung von kognitiven und pragmatischen 'Schlüsselqualifikationen' anstelle einer bloßen Darbietung von Sachwissen; nur dann gewinnt Umweltwissen Orientierungswert für den einzelnen und dient der Emanzipation von zufälligen und interessensgeleiteten Fremdinformationen.

Es geht um die Förderung handlungsorientierter Lernprozesse, die Realcharakter haben, d. h. für den Lernenden persönlich bedeutsam und handlungsleitend sind und reale Situationen einwirken, so dass ein echtes (nicht nur pädagogisch simuliertes) Feedback erfolgt.

Es geht um die Unterstützung selbstorganisierter, autonomiefördernder Lernprozesse, die die 'Lehrer'-Rolle neu definieren und den Lernern die Chance zum Erwerb eigener Informations-, Diskussions- und Entscheidungsstrategien geben."

Ich kann mir abschließend wünschen, dass hier viele Männer und Frauen sitzen, die Einfluss auf Veränderungen haben, die Freiräume zur Verfügung stellen können, die mithelfen, den neuen Grundschullehrplan lebendig werden zu lassen können und die die Zukunftsperspektive, die Herr Richard Häusler aufzeigt, ernst nehmen! Wir freuen uns, Ihnen
Frau Margit Fluch und Ihnen
Herr Mario Gugler und Herr Tino Mager
als Vertreter der Jugend-Nachrichten-Agentur "Sinnflut"
den Preis der Tutzinger Stiftung
und Ihnen
Herr Richard Häusler
den Förderpreis der Tutzinger Stiftung zu überreichen.

gehalten am 8. Oktober 2000 in der Evangelischen Akademie in Tutzing.

(Die Formulierung "Lehrer" oder "Schüler" schließt im Text auch die weibliche Form "Lehrerin" und "Schülerin" mit ein!)